Teil 1: Insolvenzgründe, Antragsfristen und Haftungsfolgen
Nach wie vor ist das Insolvenzrecht für viele Unternehmer schwierig zu verstehen und zu managen. Es kommt daher nicht selten vor, dass sich ein Unternehmen bereits seit geraumer Zeit in einer
Schieflage befindet, aber die notwendigen Schritte nicht erkannt oder nicht vollzogen werden. Und das, obwohl das derzeitige Insolvenzrecht viele Möglichkeiten bietet, ein Unternehmen in der
Schieflage zu sanieren.
1. Insolvenzgründe
Insgesamt gibt es in der Insolvenzordnung drei Insolvenzgründe.
a) Zahlungsunfähigkeit
Ein häufiger Insolvenzgrund liegt vor, wenn das Unternehmen zahlungsunfähig ist, vgl. § 17 InsO. Gemeint ist damit, dass ein Unternehmen seine fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen
kann. Was das genau bedeutet, ist regelmäßig Gegenstand von gerichtlichen Verfahren. Der Bundesgerichtshof hat in verschiedenen Entscheidungen, zuletzt mit Urteil vom BGH, Urt. v. 28. Juni 2022 –
II ZR 112/21, Kriterien für die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit festgelegt. Danach ist ein Unternehmen zahlungsunfähig, wenn
- es mit den zum Stichtag verfügbaren liquiden Mitteln (Aktiva I) die zum Stichtag fälligen Verbindlichkeiten (Passiva I) nicht decken kann, und
- eine Deckungslücke von 10,0 % (oder mehr) auch nicht mit den im dreiwöchigen Prognosezeitraum zufließenden liquiden Geldmitteln (Aktiva II) bei Gegenrechnung der in diesem Zeitraum fällig werdenden Verbindlichkeiten (Passiva II) geschlossen werden kann,
oder wenn zusätzlich
- an jeweils drei Stichtagen innerhalb eines dreiwöchigen Zeitraums ein Liquiditätsstatus erstellt wird, in dem lediglich die zu einem konkreten Stichtag verfügbaren liquiden Mittel den fälligen Verbindlichkeiten einander gegenübergestellt werden und sich an diesen drei Stichtagen ergibt, dass innerhalb eines dreiwöchigen Zeitraums eine Liquiditätslücke von 10,0 % oder mehr (allein bei einer Gegenüberstellungen der Aktiva I und Passiva I) besteht; in diesem Fall gilt das Unternehmen rückwirkend betrachtet ab dem ersten Stichtag bereits als zahlungsunfähig.
Die Zahlungsunfähigkeit knüpft damit regelmäßig an die kurzfristige Liquidität eines Unternehmens. Vermutet wird die Zahlungsunfähigkeit dann, wenn ein Unternehmen Zahlungen eingestellt hat, vgl.
§ 17 Absatz (2) Satz 2 InsO. Bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit besteht eine Pflicht, einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu stellen.
b) Drohende Zahlungsunfähigkeit
Von der bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit ist die drohende Zahlungsunfähigkeit zu unterscheiden, vgl. § 18 InsO. Bei der drohenden Zahlungsunfähigkeit ist das Unternehmen derzeit noch
zahlungsfähig, es ist aber aufgrund von Planzahlen nicht in der Lage , die künftig fällig werdenden Verbindlichkeiten zu erfüllen. Das Gesetz sieht hierfür vor, dass eine Prognose über einen
Zeitraum von 24 Monaten aufzustellen ist. Ergibt sich daraus, dass die künftigen Verbindlichkeiten nicht ohne eine irgendwie geartete Kapitalmaßnahme (Kapitalerhöhung, Darlehen etc.) erfüllt
werden können, so liegt eine drohende Zahlungsunfähigkeit vor. Diese berechtigt allerdings nur das Unternehmen (den Schuldner) selbst, einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahren zu
stellen. Für Geschäftsführer gilt in der Situation der drohenden Zahlungsunfähigkeit eine besondere Aufmerksamkeit. Einerseits besteht latent die Gefahr, dass das Unternehmen von der drohenden
Zahlungsunfähigkeit in die endgültige Zahlungsunfähigkeit rutscht. Zum anderen sind die Geschäftsführer aber auch dem Unternehmen verpflichtet. Wird seitens der Geschäftsführung zu früh und ohne
vorherige Abstimmung mit den Gesellschaftern ein Insolvenzantrag gestellt, sind die Geschäftsführer möglicherweise dem Unternehmen zum Schadensersatz verpflichtet.
b) Überschuldung
Schließlich liegt ein Insolvenzgrund vor, wenn ein Unternehmen überschuldet ist, vgl. § 19 InsO.
Maßgeblich ist für die Feststellung der Überschuldung zunächst, ob das Unternehmen im insolvenzrechtlichen Sinne überschuldet ist. Daraus folgt zugleich, dass zwar eine handelsrechtliche
Überschuldung zwar ein Indikator für eine insolvenzrechtliche Überschuldung ist. Die handelsrechtliche Bilanz ist aber zugleich nicht maßgeblich für die Feststellung der Überschuldung. Nach dem
Wortlaut des Gesetzes liegt eine insolvenzrechtliche Überschuldung vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des
Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.
Die insolvenzrechtliche Überschuldungsprüfung setzte sich somit aus zwei Elementen zusammen: zum einen ist in einem (insolvenzrechtlichen) Überschuldungsstatus zu ermitteln, ob eine rechnerische
Überschuldung des Unternehmens vorliegt, zum anderen ist eine Prognose über deren Fortbestehen zu erstellen.
Ob das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, wird mittels eines Überschuldungsstatus festgestellt. Maßgeblich sind dabei sowohl bei der Feststellung der
Aktiva als auch der Passiva die (kurzfristigen) Liquidationswerte. Diese werden zu einem Stichtag ermittelt und unterscheiden sich z.B. von handelsrechtlichen Buchwerten dadurch, dass nur die
kurzfristig realisierbaren Werte berücksichtigt werden dürfen. Zwar dürfen beispielsweise auf der Aktivseite auch stille Reserven berücksichtigt werden, andererseits müssen die angenommenen Werte
stets den kurzfristigen Markt- und Verwertungspreis widerspiegeln. Verbindlichkeiten, für die ein qualifizierter Rangrücktritt besteht, dürfen bei der Ermittlung des insolvenzrechtlichen
Überschuldungsstatus außer Betracht bleiben. Insofern ist der Rangrücktritt ein sehr nützliches Sanierungsinstrument, um eine Überschuldung zu beseitigen. Allerdings hat der Rangrücktritt nur
dann eine rechtliche Wirkung, wenn er entsprechend der Vorgaben der Rechtsprechung als qualifizierter Rangrücktritt ausgestaltet ist.
Ergibt sich anhand des Überschuldungsstatus eine rechnerische Überschuldung, so liegt der Insolvenzgrund der Überschuldung dennoch nur dann vor, wenn wegen der Überschuldung die Fortführung des
Unternehmens nach den Umständen nicht überwiegend wahrscheinlich ist. Ob dies der Fall ist, wird mittels einer sogenannten Fortbestehensprognose ermittelt. Dahinter verbirgt sich eine
zukunftsorientierte Kostendeckungsrechnung, aus der sich ergibt, ob die Gesellschaft im Prognosezeitraum dauerhaft in der Lage ist, ihre fälligen Verbindlichkeiten zu erfüllen. Voraussetzung für
eine positive Fortbestehensprognose ist der Wille zur Fortführung des Unternehmens, ein realisierbares Unternehmenskonzept sowie eine sich aus dem Unternehmenskonzept abzuleitende
Liquiditätsprognose, aus der erkennbar ist, dass das Unternehmen im laufenden und folgenden Geschäftsjahr jederzeit zahlungsfähig ist. Besonderes Augenmerk gilt dem Unternehmenskonzept. Dabei
handelt es sich nicht um ein in das Belieben der Unternehmensführung gestellte Konzept. Vielmehr hat die Rechtsprechung für die Erstellung einer insolvenzrechtlichen Fortbestehensprognose klare
Richtlinien aufgestellt, die sich im Wesentlichen an den Vorgaben des IDW S 6 Standards unter Einschluss einer integrierten Unternehmens- und Finanzplanung orientieren müssen. Wird für ein
Unternehmen ein Fortführungskonzept ohne Beachtung der Vorgaben der Rechtsprechung erstellt, bestehen bei Fortführung des Unternehmens sowohl für die Geschäftsführer und auch für Berater
erhebliche Haftungsrisiken.
2. Insolvenzantragstellung und Fristen
Sofern und sobald ein Insolvenzgrund vorliegt, besteht für die Geschäftsführer eines Unternehmens die gesetzliche Pflicht, unverzüglich einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu
stellen. Auf die Besonderheiten bei der „nur“ drohenden Zahlungsunfähigkeit hatten wir bereits hingewiesen. Die Antragspflicht für die Vertretungsorgane juristischer Personen (Geschäftsführer,
Vorstände) ergibt sich aus § 15a InsO. Hinzuweisen ist darauf, dass bei führungslosen Gesellschaften auch die Gesellschafter oder ein Aufsichtsrat verpflichtet sein könne, einen Insolvenzantrag
zu stellen, vgl. § 15 a Absatz (3) InsO.
Mit Blick auf die Fristen sieht das Gesetz vor, dass bei Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzantrag spätestens binnen drei Wochen zu stellen ist, bei Vorliegen einer Überschuldung spätestens binnen
sechs Wochen. Für beide Fristen gilt, dass diese mitnichten voll ausgeschöpft werden dürfen. Die Fristen sollen den Vertretungsorganen lediglich die Möglichkeit geben, die Zahlungsunfähigkeit
oder Überschuldung mit der gebotenen Sorgfalt zu prüfen und ggf. externe Berater hinzu zu ziehen. Steht aber bereits vor Ablauf der genannten Fristen fest, dass ein Insolvenzgrund vorliegt, der
nicht beseitigt werden kann, so bereits zu diesem Zeitpunkt das Fristende erreicht. Zur Vermeidung von Fristüberschreitungen und damit verbundenen Haftungsfolgen ist daher dringend zu empfehlen,
einzelne Prüfschritte und Maßnahmen während der gesetzlichen Antragsfristen sorgfältig zu dokumentieren.
Ausdrücklich weisen wir darauf hin, dass gemäß § 15a Absatz (3) InsO im Fall der Führungslosigkeit einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung auch jeder Gesellschafter zur
Insolvenzantragstellung verpflichtet ist, es sei denn, diese Person hat von der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung oder der Führungslosigkeit keine Kenntnis. Gleiches gilt entsprechend für
die GmbH & Co. KG, die Aktiengesellschaft und die Genossenschaft.
3. Haftungsfolgen Vertretungsorgane bei verspäteter Insolvenzantragstellung
Wird ein Insolvenzantrag zu spät gestellt, bestehen erhebliche Haftungsrisiken für die antragsverpflichteten Vertretungsorgane.
Unmittelbare Haftungsfolgen schreibt bereits die Insolvenzordnung fest. Zum einen enthält § 15a InsO eine Strafvorschrift für solche Fälle, in denen der Insolvenzantrag nicht innerhalb der
gesetzlichen Fristen oder unrichtig gestellt worden ist. Darüber hinaus sind gemäß § 15b InsO an eine verspätete Antragstellung und damit verbundene Schäden erhebliche zivilrechtliche
Haftungsfolgen für die Vertretungsorgane eines Unternehmens (Geschäftsführung) geknüpft. Das gilt namentlich für Zahlungen, die seitens des Unternehmens noch vorgenommen werden, obwohl bereits
die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung eingetreten war. Im Umfang dieser Zahlungen können die Vertretungsorgane zum Ersatz des Schadens gegenüber der Gesellschaft verpflichtet sein.
4. Haftung Steuerberater bei Insolvenzreife eines Mandanten
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass in der Krise eines Unternehmens auch eine enorme Haftungsgefahr für Steuerberater besteht. Der Bundesgerichtshof hat die Haftung von Steuerberatern bei
einer Unternehmensinsolvenz durch ein Urteil aus dem Jahr 2017 erheblich verschärft, vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.01.2017, IX ZR 285/14. Erkennt der Steuerberater aus den ihm zur
Verfügung stehenden Unterlagen oder sonstigen Umständen, dass eine Gesellschaft zahlungsunfähig wird, muss er den Mandanten unverzüglich auf die Insolvenzreife des Unternehmens hinweisen.
Insbesondere kann ein Steuerberater in Haftung genommen werden, wenn er im Jahresabschluss trotz einer bestehenden Insolvenzreife der Gesellschaft weiterhin mit Fortführungswerten bilanziert.
Sofern für eine Gesellschaft (Kapitalgesellschaft) ein Insolvenzgrund besteht, ist es unzulässig, mit Fortführungswerten zu bilanzieren. In diesem Fall sind Liquidationswerte anzusetzen.
Ausnahmen von diesem Grundsatz sind mit äußerster Vorsicht zu nutzen.
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sehr schnell mögliche betriebswirtschaftliche Stellschrauben, die die Vermeidung einer Insolvenz ermöglichen können. Außerdem sind wir in der Lage, auch schnell und zügig auf einen erhöhten
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